Unter den Werken der
Weltkunst gehört das Bernsteinzimmer sicherlich zu den originellsten und - seit
seinem Verschwinden in den Wirren des Jahres 1945 - auch zu den Stücken, mit
dem sich die meisten Geheimnisse verbinden. Zudem steht es als ein Geschenk des
Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. an den russischen Zaren Peter I. im Jahre
1716 und als kultureller Verlust während des Zweiten Weltkrieges geradezu
symbolhaft für die Höhen und Tiefen in den Beziehungen zwischen Deutschen und
Russen.
Bereits 1701 beginnt die Geschichte des Bernsteinzimmers,
das der preußische König Friedrich I. für sein Schloss Charlottenburg in
Auftrag gab, später aber in das Stadtschloss von Berlin einbauen ließ.
Vermutlich stammten die Pläne für das ehrgeizige Projekt - aus Bernstein waren
bisher immer nur kleinere Ziergegenstände geschaffen worden - von dem Berliner
Hofarchitekten Andreas Schlüter. Friedrichs Nachfolger, der als Soldatenkönig
in die Geschichte eingegangene Friedrich Wilhelm I., fand wohl in seiner
sparsamen Art kaum Gefallen an dem unvollendeten Kunstwerk und schenkte es dem
Zaren. Peter I. soll sich einer Überlieferung nach revanchiert haben mit 55
Grenadieren von stattlicher Körpergröße für die "Langen Kerls" des
Preußen. Das Bernsteinkabinett wurde so zum Unterpfand der Freundschaft, die
Preußen mit der aufstrebenden europäischen Kontinentalmacht Russland suchte.
Seit 1979 sind russische Experten dabei, das Bernsteinzimmer
in Zarskoje Selo zu rekonstruieren. Gut ein Achtel des nach Fotos
originalgetreuen Wiederaufbaus im Katharinenpalast ist bis heute fertig
gestellt. Aus Geldmangel ruhen die Arbeiten seit einiger Zeit. Die Ruhrgas AG,
Essen, ermöglicht durch ihr Sponsoring die Fortsetzung der Rekonstruktion, die
bis zum Jahr 2003 abgeschlossen sein soll.
Doch erst Zar Peters Tochter, Zarin Elisabeth, würdigte das
Geschenk aus Berlin und ließ es von ihrem Lieblingsbaumeister Francesco
Rastrelli als Wandvertäfelung im Winterpalais einbauen, wozu niemand anderes
als Friedrich II. (der Große) aus Berlin weitere Ergänzungen aus Baltischem
Bernstein schickte. Endlich im Jahre 1755 gelangte das Kunstwerk auf Geheiß der
Zarin in ihren neu erbauten Sommerpalast nach Zarskoje Selo. In dem zehn mal
zehn Meter großen Saal komplettierten nun Wandspiegel, Edelsteineinlagen,
vergoldete Leuchter und vier Mosaike aus Florenz das Gesamtkunstwerk. Als von
ganz Europa bestauntes "Achtes Weltwunder" wurde es fast zwei
Jahrhunderte lang zum besonderen Schmuck im Katharinenpalast.
Vor der im Sommer 1941 herannahenden deutschen Front hatten
russische Fachleute zwar die kostbare Ausstattung des Bernsteinzimmers, nicht
aber die eigentliche Vertäfelung in Sicherheit bringen können. Im November 1941
demontierte eine Sondereinheit der Wehrmachts-Heeresgruppe Nord das
"Weltwunder" und schickte es in 27 Kisten verpackt in die
ostpreußische Hauptstadt Königsberg, wo es bis zur Jahreswende 1945 im Schloss
aufgestellt war. Mit dem Näherrücken der Sowjetarmee wurde es erneut abgebaut,
wohl mit dem Ziel, die kostbare Fracht nach Sachsen zu bringen.
Nicht vernichtet oder verbrannt oder versunken. Sondern im
Tiefschlaf unter einem sächsischen Berg?
Im November 1941 befand sich das Kunstwerk, das angeblich
einen Wert von 500 Millionen Mark repräsentierte, in Königsberg. Es kam in
vergleichsweise gute Hände; Dr. Alfred Rhode war Direktor der Königsberger
Kunstsammlung und ein Bernsteinexperte. Kein in der Wolle braungefärbter Nazi.
Rhode behauptete stets, nach der Bombennacht vom 30. August 1944 durch
britische Flieger sei das Zimmer zerstört worden, wie Honig zerflossen in der
infernalischen Hitze. Der Streit aller Experten - und das Gros von ihnen ist
selbsternannt - spitzt sich unisono darauf zu, ob das Kleinod in Königsberg
unterging oder ob es von Spezialeinheiten von SS oder Wehrmacht oder Kunstretter
der NSDAP weggeschafft werden konnte. Dazu aber bedurfte es mindesten eines
halben Dutzend Lkws, und die wären irgendwann irgendwem aufgefallen. Der
Verdacht, ein kleiner Ganove habe bei günstiger Gelegenheit das alles einfach
geklaut, ist nicht stichhaltig. Kein Normaler kann mit einem derart
überdimensionierten Stück Wohnstube etwas anfangen!
Nun steht eine abenteuerliche These im Raum: Zwei untadelige
Wehrmachtsoffiziere von blauem Blut, Ernst Otto Graf zu Solms-Laubach und Dr.
Georg von Poensgen, schafften es 1944/1945, das Zimmer zu retten. Ihre
Auftraggeber saßen nicht in Partei oder Heer, sondern in hocharistokratischen
Kreisen, in den Zirkeln der noch Lebenden unter den Hohenzollern und den
Übriggebliebenen bei den Romanows. Und sie besaßen allerbeste Drähte nach
Amerika. Wen will es wundern? Schließlich hatte Prinz Louis Ferdinand bei Ford
in Detroit am Band gearbeitet. Als Mister Preußen. So kam, was nach Meinung des
Schatzsuchers Dietmar B. Reimann kommen musste. Der Chef des Königsgeschlechts
an der Spitze derer, die das Familienerbe retten wollten. Ausgerechnet der
Haudegen unter den Invasoren, US-General Patton, stoppte Mitte April den
Vormarsch. Im Kreis Aue/Schwarzenberg stand seine 3. Armee wie angewurzelt.
Just dort, wo die Grafen von zu und Solms Laubach Schloss Wildenfels besitzen,
nur fünf Kilometer von einem Ort namens Schlema im sächsischen Erzgebirge
entfernt. Dort, an der Zwickauer Mulde, findet sich also der Schlüssel zum
Geheimnis. Die These: In fast vergessenen Steinbrüchen entlang der schmalen
Straße von Hartenstein nach Schlema fand sich genügend Platz, um das gute Stück
einzubunkern. Von einer deutschen Einheit, die geheimnisumwittert blieb - dem
Regiment Kurfürst, einst der deutschen Auslandsabwehr unterstellt und später
von der SS usurpiert. Die Abwehr, deren erfahrener Chef Wilhelm Canaris (ein
Gegner Hitlers) angeblich beste Beziehungen zu CIA-Chef Allan Dulles besaß,
konnte theoretisch ihre einleuchtenden Motive für eine Rettung des teuren
Zimmers besitzen. Sollte dies in einem zerstörten Deutschland sozusagen eine
allerletzte feine Aktie für ein Gegengeschäft sein? So wie das Wissen des Herrn
von Braun aus Peenemünde auf Usedom, der die Amis später auf den Mond schoß?
Admiral Canaris gehörte zum Dunstkreis des 20. Juli 1944 und wurde am 9. April
1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. Da war das Bernsteinzimmer schon in
Sicherheit. Angeblich... Angeblich... nahmen es die Hohenzollern, denen es ja
mal gehört hatte, unter ihre Fittiche. Brachten es Ende Januar 1945 nach Cadinen,
südlich von Königsberg, über Schleusing und Meiningen nach Bad Kissingen, ins
Schloß Reinhardsbrunn bei Gotha. Diese Immobilie gehörte dem Großvater von Kira
von Rußland, der Frau von Prinz Louis Ferdinand.
Die Logik des Schatzsuchers sieht am Ende so aus: Der
Kaiserenkel fand es nur recht und billig, das Zimmer aus dem Besitz seiner
Vorvorväter zu raffen. Weil man ja nie wissen konnte, ob vielleicht in besseren
Tagen die gebeutelten Deutschen wieder eine Monarchie haben wollten. König
befiehl. Wir folgen. Bernstein als Lockmittel? Prinz Louis Ferdinand, hochbetagt 1994 verschieden, nicht
ohne Friedrich den Großen wunschgemäß und feierlich von Helmut Kohl begleitet
auf den Weinberg von Sanssouci in die Gruft zurückgeholt zu haben, schwieg zu
derlei Unterstellungen. Vermutlich im Poppenwald, nahe Schlema, findet die
heiße Ware in einem aufgelassenen Steinbruch ihre vorerst letzte Ruhestätte.
Die DDR-Größen wissen von nichts, die Eingeweihten sind gefährdet.
Mitverschwörer verschwinden mysteriös. Alle Komplizen einschließlich des
General Patton kommen auf unerklärliche Weise ums Leben. Selbstmorde erstaunen,
weil sie keine Selbstmorde sein können, Krankheiten mit rascher Todesfolge
überziehen die Informierten. Die Stasi findet erst viel später Gefallen an der
Sache und sucht auf eigene Faust. Alles Suchen vor Ort scheiterte bislang am
Mammon. Aber wenn erst genügend Geld da ist, soll rund ums Schloss Hartenstein
gebuddelt werden. Irgendwo muß es ja sein, kann sich nicht ins Nichts
verkrümelt haben. Der Förster vom Poppenwald hat schon zugestimmt.....
Hier verliert sich die Spur des Bernsteinzimmers, das man
zunächst in den Schlossruinen von Königsberg verbrannt glaubte. Doch schon ab
1946 mehrten sich Stimmen, wonach das Bernsteinkabinett die Feuersbrunst
überstanden habe. Seriöse Wissenschaftler auf deutscher und russischer Seite,
Geheimdienste, selbst ernannte Experten und sogar Wünschelrutengänger lieferten
Theorien und Ideen zu rund 130 Orten, an denen zwischen Königsberg und Coburg,
in den Salzstollen Ostdeutschlands, in russischen Geheimdepots oder
amerikanischen Banksafes das Bernsteinzimmer heute lagern könnte. Ein Stoff,
aus dem längst auch Filme und Romane entstanden sind.
Während nicht nur überraschende Andeutungen des russischen
Präsidenten 1991 in Bonn sowie das dubiose Auftauchen eines der Florentiner
Mosaiken im Mai 1997 in Bremen und einer Kommode aus dem Bernsteinzimmer in
Berlin die Hoffnung auf ein Wiederauftauchen des Kabinetts erneut anfachten,
mühen sich russische Experten um die Rekonstruktion des verschwundenen
Schatzes. Seit 1979 sind sie dabei, das Kunstwerk in Zarskoje Selo aus Tonnen
von Bernstein wieder erstehen zu lassen. Gut ein Achtel des nach Fotos
originalgetreuen Wiederaufbaus im Katharinenpalast ist bis heute fertig gestellt.
Aus finanziellen Gründen ruhen die Arbeiten jedoch seit einiger Zeit. Die
Ruhrgas AG, Essen, ermöglicht durch ihr Sponsoring die Fortsetzung der
Rekonstruktion, die bis zum Jahr 2003 abgeschlossen sein soll. Pünktlich zum
300. Jahrestag der Grundsteinlegung von St. Petersburg soll das "Achte
Weltwunder" wieder im alten Glanz erstrahlen.